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  • AutorenbildRafete Mamuti

Seelenstich

«Bis dann», sagte ich zu ihm, als wir in die verschiedenen Büsse einstiegen.
Energie, jeden Tag, jeden Morgen sehe ich ihn voller Energie. Er strahlt wie die Sonne, die in diesen kalten Wintertagen von den Wolken bedeckt wird. Springend läuft er zu seinem Bus und ist überglücklich. Seine Mutter steht im Garten. Ich höre sie jeden Tag, jeden Morgen sagen: «Pass auf dich auf, schreib mir» und zum Abschied umarmte sie ihn immer. Er schrieb ihr immer, dass wusste ich. Ich wünschte meine Mutter, würde mich auch umarmen oder mir etwas Liebevolles sagen. Sie liess mich sie nie umarmen. Das ist normal. Normal für mich, weil ich es nicht anders kenne. Doch, ich wünschte mir, ich würde es anders kennen. Anders kennen, ich kenne ihn gar nicht, naja wir sind befreundet und reden miteinander, doch ich kenne nicht sein wahres Ich. Wie mag er wohl sein? Auf Instagram oder Snapchat sehe ich immer Stories von ihm. Aber auf allen ist er immer glücklich am Lächeln. Nie habe ich ihn anders erlebt. Er konnte Klavier spielen. Klavier spielen und singen. Seine Stimme überzeugte jeden. Er hatte viele Träume, das weiss ich. Er hatte Ziele im Leben. Er war ein Familienmensch. Er war ein Idol für seine Geschwister. Sein kleiner Bruder hatte von ihm Fussball spielen gelernt. Sein kleiner Bruder, eine kleine Kopie von ihm. Ich werde von Geschrei aufgeweckt. Was zur Hölle ist los? Polizei? Denke mir nichts dabei. Ich laufe wieder eines Morgens zum Bus, seine Mutter sagt mir, er hätte ihr die ganze Nacht nicht geschrieben, was er sonst nicht tut, er schreibt immer. Von der Snapchat Story versichere ich ihr aber, dass er bei einem Freund geschlafen hat. Versichere ich ihr. Wie sicher bin ich? 100% 90% 210%? Was weiss ich schon. Ich wusste nichts. Ich wusste nichts und wusste nicht mal, dass ich von nichts wusste bis ich am Abend wieder seine Mutter sah und diesmal auch seinen Vater und seinen Onkel und seine Tante und seine Cousine. Viele Autos sind reihennach parkiert. Ein Zelt steht im Vorgarten, haben sie ein Fest? Ich irrte mich und wusste mal wieder nichts. Es regnet und windet. Es regnet Tränen und windet Schluchzen. Was? Ich drängle mich zu seinen Eltern, sie rauchen unterm Regenschirm, unterm Regen. Nasse Wangen, rote Nasen, verschmiertes Make-Up. Kein Hallo, kein Lächeln. Nur Schmerz. Tiefer Schmerz, der sticht. Ein Stechen, das sich wie Säure auf einer Wunde anfühlt. Kann es sein? Meine Gedanken werden schneller, mein Herz rasant. Es nimmt mich mit. Ich hörte Schreie, innerlich und aus meiner Umgebung. Schreie, die IMMER LAUTER WURDEN. Ich sah Tränen. Tränen, die mit dem Regen auf den Boden fielen. Seit diesem Tag kam die Sonne nicht mehr zurück, sie schien am Himmel, aber nicht in uns. Das Haus verlor sein Licht. Das Licht, das in seinen Freunden fehlte. Er fehlte. 13, verfluchte Zahl. 13.11, verfluchtes Datum.
«Bis dann», sagte ich zu ihm, als wir seinen Grab hinab unter die Erde liessen.
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