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Eine lauwarme Diskussion bei kaltem Wetter

  • Autorenbild: Rafete Mamuti
    Rafete Mamuti
  • 13. Jan. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Am Dienstag, dem 15.11.22 fand der Polithalbtag für alle Drittklässler*innen des Gymnasiums und der FMS statt. Die einzelnen Klassen setzten sich mit der Gletscherinitiative und der Energiekrise auseinander und trafen anschliessend in einer Podiumsdiskussion in der Aula Polyfeld auf vier Politiker*innen, darunter ein grüner Gymnasiast aus dem Oberbaselbiet, eine christliche Landrätin, ein konservativer Klimawandel-Skeptiker und eine studierende Jungunternehmerin von der SVP.
von Rafete Mamuti (Fotos: Daniel Nussbaumer)
Als ich in den mit Schülern und Schülerinnen gefüllten Raum hineinlaufe, stehen die vier Gäste und der Moderator vor dem Podium in der Aula und diskutieren ihren Ablauf. Ich sitze ganz vorne und höre den Stimmen um mich zu. Aus einer Ecke fällt der Satz: «Das wird sicher megaspannend. Bin voll gspannt, was sie säget.» Aus der anderen Ecke tönt es: «D’2-Klässler sind imfall hüt im Wald am Bäum pflanze.» Als der Zeiger auf 10.30 Uhr weist, begrüsst uns der Moderator Romano Pelosi. Die zwei rechten Politiker*innen stehen auf der rechten Seite der Bühne, der Moderator mit der neutralen Haltung steht in der Mitte. Links von ihm sehen wir offenbar die Linken. Auf beiden Seiten ist je eine Meinung eines Mannes und einer Frau vertreten. Ganz Links Linus Dörflinger, Vorstand der Jungen Grünen im Kanton Baselland. Er besucht das Gymnasium Liestal. Neben ihm steht Andrea Heger-Weber, Landrätin EVP vom Kanton Basel-Land. Etwa zwei Meter daneben Markus Wäfler, ehemaliger Nationalrat EDU vom Kanton Zürich und dann Sarah Andrea Regez Vorstandsmitglied JVSP, Kanton Baselland. Der Moderator erklärt uns die Gletscher-Initiative. Und zwar wurde diese im Jahr 2019 eingereicht, mit der Forderung, alle CO2-Emissionen bis 2050 auf «Netto-null» fallen zu lassen und komplett von fossilen Energieträgern wegzukommen. Die Initiative wurde dieses Jahr zurückgezogen, weil der Gegenvorschlag die wichtigsten Anliegen aufgreift und schneller in Kraft treten kann. Es sollen Fördergelder in Milliardenhöhe bereitgestellt werden, um alte Heizungen zu ersetzen und Innovationen in nachhaltiger Energiegewinnung zu fördern.


Nach aufmerksamem Zuhören sind wir gefragt. Alle im Publikum öffnen menti.com auf ihrem Handy und beantworten die Frage: «Glaubt ihr, dass aktuell in der Schweiz ausreichende Massnahmen für den Klimaschutz getroffen werden?» Mit 23 JA- und 130 NEIN-Stimmen steht dies als erste Frage zur Diskussion. Eine der Gäste behauptet, dass sie die Frage nicht beantworten könne. Der Moderator fragt die Politiker*innen im Ping-Pong. Zuerst jemanden der einen Seite und dann den anderen der anderen Seite und wieder hin und her. Die BL-Landrätin ist der Meinung, dass die Basler Klimagerechtigskeitsinitiative bis 2030 nicht schweizweit umgesetzt werden könnte, sondern nur in BS, weil weniger Leute auf Bundesebene das wollen und es in der Schweiz kein Geld dafür hat und sie zu klein ist. Markus Wäfler von der EDU hingegen sagt, dass es irrelevant ist, was unsere Schweiz gegen den CO2-Ausstoss macht. CO2 spiele sowieso kaum eine Rolle bei der Klimaerwärmung. Die linke Seite muss sich der Frage stellen, ob das Netto-null-Ziel nicht unrealistisch sei. Der Junge Grüne-Vertreter Linus findet, es sei in der Schweiz möglich, da sie die Voraussetzungen dafür habe. "Wir könnten den CO2-Ausstoss beim Verkehr reduzieren, z.B. mit weniger Freizeitverkehr mit dem Auto." Sarah Regez ist gegen eine Einschränkung beim Privatverkehr. Sie sagt, dass das Auto für uns wichtig ist und wir es brauchen. Nach einigen Meinungsäusserungen und Geschichten über die Gletscher, die laut dem alt Nationalrat schon seit Jahrhunderten mal schrumpfen, dann wieder anwachsen, merke ich, wie das Publikum der rechten Seite interessierter zuhört als der Linken. Die Rechten reden auf uns ein. Sie beziehen uns ein, indem sie uns ansprechen, mit «ihr» oder in dem sie «wir» sagen. Grün und Mitte dagegen sind nicht darauf vorbereitet, ihre Argumente richtig zu begründen und genügend Redezeit zu beanspruchen. Das Publikum wird langsam unruhig und tuschelt. Pelosi fragt die SVP-Vertreterin, ob der Gegenvorschlag nicht die Innovation fördern würde. Da höre ich schon nicht mehr richtig zu, da diese eine Stunde ziemlich lang wird. Jedoch höre ich dutzend Mal den Satz: «Das ist das Problem, dass das Problem nicht gesehen wird».
Endlich geht eine Hand in die Höhe und eine Frage wird vom Publikum gestellt. Alle erwachen aus ihrem Dämmerzustand. Ein Schüler erklärt dem alt Nationalrat von der EDU, dass frühere Rückgänge von Gletschern mit der Kinematik zu tun haben und nicht mit dem Schmelzen selbst, das heisst, die Gletscher sind früher gleich viel geblieben, nur hatten sie eine andere Form. Er widerspricht Wäfler. Das Publikum klatscht. Ich fände es besser, würde meine Physiklehrerin mir dieses Thema erklären und nicht irgendein Politiker. Eine Schülerin steht auf und stellt mehrere Fragen hintereinander an die SVP-Vertreterin. Dort stellt mein Kopf kurz ab. Es geht mir viel zu schnell und viel zu viele Fragen und Antworten werden ausgetauscht. Doch endlich wird es spannend. Der dritte aus dem Publikum steht auf und macht eine Aussage. Er macht eine einfache, respektlose Aussage gegenüber den Gästen. «Omg, wie respektlos!», klingt's hinter mir. Kopfschütteln im jetzt lauten Raum ist sichtbar. Der Schüler behauptet, dass der Gymnasiast, der auf dem Podium steht, von seinen Eltern durchgefüttert wird. Dass das Podium unterbesetzt ist, da jemand aus der Arbeiterklasse fehlt. Was er vor seiner Aussage hätte durchdenken müssen, dass etwa zehn Klassen im Publikum sitzen, die genauso von ihren «Eltern» durchgefüttert werden und Politiker*innen in der Schweiz eher wenig verdienen für ihre politischen Ämter sowie den Anfang vom Moderator mit der Bitte: Respect the Podium.


Jetzt kommt es zum Thema der Energiekrise. Wie spart Linus Dörflinger seinen Strom? Er lässt die Heizung nicht den ganzen Tag an und heizt zu Hause mit Holz oder Wärmepumpwerk. Ich überlege mir, wie ich daheim Strom spare, und merke: praktisch gar nicht. Nur schalte ich die Lichter immer aus oder lade mein Handy in der Schule ;) Von zehn verschiedenen Argumenten des Gegners wird eines herausgepickt und dann minutenlang über dieses geredet und die anderen werden ignoriert. Ich bemerke, wie drei Glasflaschen auf der linken Seite auf den Stehtischen stehen und eine Plastikflasche auf der rechten Seite. Auch sehe ich, dass die Äussersten formeller angezogen sind als diejenigen, die innen stehen. Wieder stellt mein Kopf ab, als sie vor mir über die AKWs reden. Wie sie ganz abgebaut werden sollen, aber wieder neugebaut mit innovativer Technologie und recyclebaren Brennstäben. Nach einer weiteren Stunde steht ein Lehrer auf, stört somit die Diskussion und sagt, dass einige Schüler*innen nochmals Fragen hätten. Die Frage lautet: Wer zahlt für die katastrophalen Bedingungen bei der Lithiumgewinnung für Batterien in Elektroautos, die man doch fördern will? Markus Wäfler antwortet darauf, dass man Abfall recyclen und nicht wegwerfen soll und plötzlich hält er eine Grafik in der Hand und erzählt, dass es erneuerbare Energie in der Physik nicht gibt. Eine zweite Frage wird gestellt und eine weitere Antwort gegeben. Ich merke, wie die linke Seite die Fragen und Argumente viel persönlicher nehmen als die rechte Seite. Herbstmesse. Wieso läuft diese, wenn wir doch Strom sparen sollen, da die Energie knapp wird? Und die Läden sollen ihre Lichter ausschalten. Sarah Regez antwortet auf diese Frage, dass Energie in Form von Strom nicht gespart werden kann, sondern wir einfach weniger verbrauchen sollen. Dann werde auch weniger produziert. Ich, die in einem Laden arbeitet, kann sagen, dass jeder Laden in der Schweiz ein Protokoll bekommen hat. Jeder Laden soll probieren Strom zu sparen, indem die Angestellten einzelne Geräte ausschalten oder ausstecken etc. Die letzte Frage stellt der Lehrer, der vorhin aufgestanden ist. Die Frage ist an den EDU-Vertreter gerichtet: «Denken Sie nicht, dass die aktuelle Klimaerwärmung vom Menschen kommt?» Dieser antwortet: «Nein, so gut sind wir nicht.» Das Publikum ist entsetzt.
Nach diesen zwei Stunden und zehn Minuten ist die Diskussion vorbei. Der Moderator bedankt sich und das Publikum läuft langsam durch die Türe hinaus. Einige Schüler*innen stürmen zu den einzelnen Gästen. Markus Wäfler ist schon weg, als Sarah Regez mit Fragen bombardiert wird. Die Diskussion geht weiter. Linus und Sarah, die Jüngsten, des Podiums, reden weiter und beantworten noch eine gute halbe Stunde Fragen, bis eine Lehrerin uns aus der Aula scheucht. Was die beiden nicht beantworten können, ist meine Frage: «Aus welchen persönlichen Gründen, nicht denjenigen ihrer Partei, sind Sie für oder gegen die Gletscherinitiative?» Sie verabschieden sich von mir und laufen redend aus der Aula hinaus, während ich enttäuscht bin, dass sie das nicht beantworten konnten.

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